Von Brauchtum und Tradition

Mitte der Dreissigerjahre war die Fasnacht Thema einer Jassrunde, die sich jeden Samstag im Restaurant Krone zum Hindersi-Jass traf. Ver­kehrte Welt also auch beim Jass, denn Verlierer ist beim Hindersi, wer am meisten Punkte macht! So kam die Viererrunde auf die Idee, an der nächsten Fasnacht – mitten in der Wirtschaftskrise – doch einmal etwas für das eigene Quartier zu orga­nisieren. Vor allem die Kinder vom Hinterdorf und Unterdorf sollten davon profitieren, zumal hier mehrheitlich weniger begüterte Familien lebten.

Schon bald war für die neue Clique auch ein Name gefunden: Schwyzer Gross­grinde-Zunft. Denn über­di­men­sio­nier­te Grinde sollten das zünftige Marken­zeichen werden. Kurzum wurden in Luzern etliche Schwellköpfe ein­gekauft, dann erste Vor­be­reitungen für eine Kin­der­be­scherung getroffen und der guten Ordnung halber noch ein «Verein ohne Statuten» ge­gründet… Typisch närrisch, übernahmen doch die vier Jasser die Aufgaben des Vor­standes gleich selber: Präsident Julius Kälin, Kassier Josef Letter, Masken­wart Jakob Zürcher und Beisitzer Xaver Letter.

Ihren ersten Auftritt hatte die Zunft am Nachmittag des Güdelmontags 1936. Angeführt von zwei Tambouren, zog ein gutes Dutzend Gross­grinde vom Restaurant Schützengarten an der Grundstrasse zum Müh­le­platz Lüönd im Hinterdorf, wo neben zahlreichen Erwachsenen rund 400 Kinder auf die Bescherung warteten: 850 Brötchen, 420 Würste und 150 Kilo Orangen wurden verteilt. Im folgenden Jahr zählte man bereits 700 Kinder, und 1938 waren es erneut deren 600, die sich auf den reich gefüllten Papiersack freuten. Damals gab es jedoch Äpfel anstelle von Orangen – wohl ein untrügliches Vorzeichen des nahenden Krieges.

Aus den Anfängen

Krieg löschte alles aus

Tatsächlich war 1938 bereits die letzte Kinderbescherung – und nach nur drei Jahren der viel­ge­lob­ten Idee ein unfreiwilliges Ende gesetzt. Nicht allein der Aktivdienst und das während der Kriegsjahre auf einen Tag beschränkte Fasnachtstreiben waren der Grund. Nach dem Tod von Julius Kälin, dem Iinitianten, Förderer und Spender, ergriff auch niemand die Initiative für eine Neubelebung. Eigentlich er­staun­lich, hatte doch der lokale Anlass sogar in nationalen Pu­bli­ka­tionen seinen Niederschlag gefunden. Darin wurde vor allem auf der soziale Hintergrund der Zunft betont, nämlich der im Alpenraum verbreitete Brauch der Spende und das tra­di­tio­nel­le Schenken an der Fasnacht.

Unstete Zwischenjahre

Trotz der Auflösung der Zunft verschwanden die teils skurrilen Grinde nie ganz aus der Schwy­zer Strassenfasnacht. Im­mer wieder traten in den folgenden 60 Jahren Klein­gruppen und vor allem Ein­zel­fi­gu­ren als Gross­grinde auf. Zudem bemühten sich wiederholt freie Ve­rei­ni­gung­en um eine Neubelebung. Ob Him­mel­fensterli­ve­rein, Klipp-Klapp-Klämmerli-Club oder Chloster­chilbi-Güdel­ziischtig-Aabig-Rott – ihre Auftritte blieben spontane Aktionen. Ganz anders das Engagement des Spinnclub Schwyz: Ab 1999 organisierte er am Nachmittag des Schmutzigen Donnerstag eine Gross­grinde-Rott, die von Beiz zu Beiz zog und bei der Bevölkerung auf viel Sympathie stiess.

So wundert es nicht, dass eines Tages die Frage aufkam, wie 2016 der 80. Geburtstag des «Vereins ohne Statuten» gefeiert werden könnte. An erster Stelle standen Idee und Wunsch, erstmals alles über die Zunft in einer Chronik fest­zu­hal­ten. Doch das Ergebnis der Recherchen war zwie­späl­tig: Keine Vereinsakten, nur kurze Meldungen in den Lo­kal­zeitung­en und einige Fotos aus den Gründerjahren. Immerhin exis­tier­ten von 1997 noch Notizen aus einem Gespräch mit den damals 85 und 86 Jahre alten Mitgründern Josef und Xaver Letter. Zudem war inzwischen der Mas­ken­be­stand erhoben worden: 2015 zählte man 24 alte und neue Grinde in Privatbesitz und deren 13 im Eigentum der Chlosterchilbilüüt. Darunter auch die Schwyzer Cha­rak­ter­köpfe Fecker Wyss und Metzger Felder – und die grosse Über­raschung: Die Grinde aus der Gründerzeit stammen nach­weis­bar aus den weltbekannten Thüringer Mas­ken­ma­nu­fak­tu­ren, belegt dank eines Mas­ken­ka­ta­logs von 1937/38.

Neugründung

Trotz Unwägbarkeiten war für die Initianten Josef Schibig, Matthias Ulrich und Hans Steinegger die Chronik be­schlos­se­ne Sache. Doch wer sollte als Herausgeber zeich­nen? Eine der spontanen Reaktionen lautete: Warum nicht gleich eine neue Zunft gründen mit dem Sinn und Zweck: Langfristig den Auftritt der Gross­grinde am Schmut­zig­en Donnerstag sicherstellen und den Fundus an alten und neuen Grinde betreuen!

Gesagt, getan: Wie vor 80 Jahren wurde am 2. Oktober 2015 «in aller Stille» im Restaurant Krone die neue Gross­grinde-Zunft Schwyz (GGZ) aus der Taufe gehoben. Diesmal jedoch als «Verein mit Sta­tu­ten», wenn auch bewusst mit einfachen Strukturen. Der Grün­dung setzten die Chloster­chilbi­lüüt schliess­lich noch das Tüpfelchen auf: Sie schenkten der «neugeborenen» GGZ alle Grinde der alten Zunft.

Die Gross­grinde-Zunft Schwyz steht in ihrer Art kantonsweit einzigartig da. Denn die Gross­grin­de der 1925 ge­grün­de­ten Fas­nachts­ge­sell­schaft Ober­arth existieren längst nicht mehr, und Gersau hat 2014 seine alten Gross­grinde aus den Fünf­ziger­jahr­en durch eine neue Gruppe von Sennen ersetzt. Verbleibt noch der 1950 geschaffene Lachner Grind, der lächelnde Auf­setz­kopf als Wahr­zeichen der Fasnacht des Hauptortes der March.

Hans Steinegger